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Geschäftsprozessmodellierung im Bankenwesen

Im Interview spricht Eduard Braun über die Relevanz des Business Process Modelling (kurz BPM = Geschäftsprozessmodellierung) bei der Prozessoptimierung im Bankenwesen am Beispiel einer kürzlich für ein Kreditinstitut umgesetzten Lieferstrecke im Wholesale-Bereich. 

Unter dem Wholesale Banking wird das Firmenkundengeschäft von Banken verstanden. Es umfasst Dienstleistungen für größere Firmenkunden, mittelgroße Unternehmen, Immobilienunternehmen und -investoren, im Bereich internationaler Handelsfinanzierungen, institutionelle Kunden (z.B. Pensionsfonds, Körperschaften etc.), andere Banken und Finanzunternehmen. 

Herr Braun bewegt sich seit über 10 Jahren in der Welt der Banken und /Versicherungen, und unterstützt die ITGAIN seit Anfang 2019 aus dem Team Banken und Versicherung heraus bei der Realisierung von IT-Projekten. Bisherige Schwerpunkte waren dabei beispielsweise das Anforderungsmanagement, auch Requirements Engineering genannt, die Business Analyse und das Qualitätsmanagementim Sinne der Testplanung und -durchführung, regelmäßig im agilen Projektumfeld.  

Hallo Herr Braun, die Geschäftsprozessmodellierung ist ein wichtiges Themenfeld der ITGAIN. Was macht dieses Themenfeld aus Ihrer Sicht so wichtig? 

Ich sehe es auch so, dass das BPM einen großen Teil dazu beitragen kann, bestehende oder auch neue Geschäftsprozesse zu optimieren. In der Praxis begegnen wir häufig Prozessen, die sich deutlich verschlanken oder sogar vollständig automatisieren lassen. Diese Prozesse sind oft sehr komplex in ihrem Ablauf und benötigten beispielsweise Zuarbeiten durch involvierte Fachbereiche oder setzen ein Zusammenspiel unterschiedlichster Anwendungen voraus. Um dieser Komplexität Herr zu werden, bedienen wir uns der Geschäftsprozessmodellierung. Diese dient als Basis der Geschäftsprozessoptimierung dazu, Geschäftsprozesse oder Ausschnitte daraus zu abstrahieren, in der Regel grafisch darzustellen und zu modellieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Darstellung des Ablaufs. 

Die Modellierung bestehender Geschäftsprozesse legt also die Basis für eine Optimierung. Was genau meinen Sie in diesem Zusammenhang mit „Darstellung des Ablaufs“ und warum wird der Schwerpunkt darauf gelegt? 

Auf hoher Flugebene richtet sich die Geschäftsprozessmodellierung an alle Beteiligten eines Geschäftsprozesses und andere involvierte Partner, um ihnen mit Hilfe der strukturierten und leicht aufzufassenden Darstellung der einzelnen Schritte ein Verständnis für die Abfolge zu schaffen. Auf detaillierter Ebene richtet sich die Geschäftsprozessmodellierung an diejenigen Personen, die den Prozess realisieren sollen (technische Entwicklerinnen und Entwickler, operativ Prozessbeteiligte, Manager, Business Analysten, …) und stellt im besten Fall Detailinformationen für eine präzise Umsetzung dar. Das funktioniert durch ein standardisiertes Wording, welches alle Beteiligten unabhängig von ihrem fachlichen Hintergrund abholen soll. 

Daneben sorgt die grafische Darstellung für eine deutlich einfachere Nachvollziehbarkeit als eine rein textuelle Erfassung. Es gibt mittlerweile diverse Studien, die belegen, dass unser Gehirn Bilder liebt und visuelle Daten bis zu 60.000-mal schneller verarbeiten kann als den geschriebenen Text.1 Dies ermöglicht eine bessere Zusammenarbeit und Kommunikation, um das große Ganze zu erreichen: Einen möglichst schlanken Prozess, der qualitativ hochwertigen Output liefert. 

Ein einheitliches Wording und die Verwendung standardisierter grafischer Elemente unterstützten also ein einheitliches Verständnis auf allen Ebenen. Können Sie dazu ein Beispiel vorstellen? 

In der Geschäftsprozessmodellierung gibt es einheitliche Elemente und Symbole für Aufgabentypen, Aktivitäten, Gateways, Swimlanes und Ereignisse. Ein Tool für eine solche Darstellung, dass ich in der Praxis am liebsten nutze, ist der Cawemo-Modeller. Möchte man beispielsweise eine Aufgabe in Cawemo beschreiben, gibt es dafür folgende Aufgabentypen:
 

 Es gibt zahlreiche weitere Diagrammelemente und Symbole für die Darstellung der unterschiedlichen Elementtypen. Sie alle aufzulisten, würde hier zu weit führen. Im Allgemeinen gilt dabei jedoch: Je präziser die Darstellung in einem Prozessdiagramm erfolgt, desto wahrscheinlicher ist eine qualitativ hochwertige Umsetzung des Geschäftsprozesses. 

Das hört sich alles sehr interessant an, so richtig vorstellen kann ich mir das aber noch nicht. Können Sie einige Elemente anhand eines Beispiels weiter veranschaulichen? 

Ich will es gerne anhand eines beispielhaften Prozessdiagramms versuchen. Aktuell bauen wir eine Lieferstrecke für die (teil)automatisierte Kommunikation mehrerer Anwendungen des Wholesale-Bereichs eines großen Kreditinstituts, das bisher komplett autark arbeitet. Dabei kommen über Jahre gewachsene Geschäftsprozesse des Leasing- und Schuldscheindarlehensgeschäfts auf den Prüfstand. Wenig überraschend, für die Beteiligten bieten nahezu alle Geschäftsprozesse erhebliches Einsparpotenzial, die Prozesse können sowohl schlanker gestaltet als auch größtenteils automatisiert werden. Das senkt auch vorhandene Risiken durch Fehleingaben oder Fehler der Systemlandschaft im Prozessablauf enorm. Für ein strukturiertes Bild dieser Abläufe haben wir sämtliche Prozesse zunächst jeweils in ein fachliches IST- und SOLL-Prozessdiagramm überführt, um daraus anschließend die technischen Prozessdiagramme abzuleiten. Ein beispielhaftes, stark vereinfachtes, fachliches SOLL-Prozessdiagramm für das Bestandsgeschäft und die Vertragsanlage könnte dabei wie folgt aussehen:

Das technische Prozessdiagramm, das sich aus dem fachlichen ableitet, fokussiert sich dabei auf die einzelnen Übergabepunkte von Informationen und Schnittstellen. In einem technischen Prozessdiagramm können auch etwa zu durchlaufende Workflows detailliert dargestellt werden. In unserem Fall beispielsweise der Workflow für die Geschäftsanlage. Ein Geschäftsprozessmodell kann demnach ein simpel per Hand skizziertes Diagramm oder eine komplexe Grafik mit mehreren Teilebenen sein, die sich für detaillierte Informationen zur Implementierung von Prozessen weiter ausklappen lassen. Es kommt immer darauf an, welche Zielgruppe sich damit auseinandersetzen soll. Denkbar wären auch unterschiedliche Modelle für denselben Themenblock, um auch unterschiedliche Beteiligte „abzuholen“. 

Geschäftsprozessmodellierung ist also sowohl technisch als auch fachlich anspruchsvoll? 

Definitiv. Aber aus unserer Sicht heutzutage auch unabdingbar. Insbesondere wenn eine Optimierung komplexer Geschäftsprozesse im Sinne der Risikominimierung und Budgetverträglichkeit erfolgen soll, ist ein strukturiertes, methodisches Vorgehen unverzichtbar. Und optimieren kann man etwas schlussendlich so gut wie immer!